Geschichte
der Luxemburger Jugendliteratur
PRÄMIENBUCHER
UND PREISEVERTEILUNGEN
Ein
Jahrhundertlang waren die Preiseverteilungen der Hauptweg, auf dem unsere Kinder und besonders die Kinder vom Lande in den Besitz von eigenen Büchern gelangten. Das Ordnungs-Reglement über die Haltung der Schulen vom 18. Dezember 1845 sieht bereits in seinem Art, 15 vor: „Es dürfen als Preise nur solche Bücher verteilt werden, welche durch die Unterrichtskommission und, ereignenden Falles, durch die geistliche Behörde genehmigt sind." Im „Schulbote" von 1878 schickte der Ständige Ausschuß der Unterrichtskommission dem Verzeichnis von genehmigten Büchern die Bemerkung voraus, daß die Bestimmung von Art. 7 des Schulgesetzes vom 26. Juli 1843 über die Genehmigung von Büchern sich auch auf die Prämienbücher beziehe „und ersucht daher die Lehrer auf das strengste in der Wahl der Prämien die ihnen gesteckten Grenzen nicht zu überschreiten." Im Art. 76 des Schulgesetzes vom 20. April 1881 heißt es: „Die Unterrichtskommission genehmigt die Bücher, welche zum Primärunterricht dienen sollen, sowie die Prämienbücher." Auch das Schulgesetz vom 10. August 1912 sah eine Preiseverteilung vor und bestimmte in seinem Artikel 21: „Am Schlüsse des Schuljahres kann an die verdienstvollsten Schüler eine Preiseverteilung stattfinden, welcher öffentliche Uebungen vorausgehen können. Die Preise bestehen vorzugsweise in Büchern oder Schulgegenständen, deren Auswahl vom Lehrer- unter Gutheißung des Inspektors, ausschließlich aus dem von der Unterrichtskommission genehmigten Verzeichnis getroffen wird." Hätten Buchhandel und Lehrerschaft sich strikt an diese Bestimmungen gehalten, so wäre es leicht, sich ein Bild von den verteilten Büchern zu machen. Aber diese Vorschriften blieben toter Buchstabe. Periodisch kehren im „Schulfreund" und „Sprechsaal" Artikel über Preiseverteilung und Prämienbücher wieder, in denen bedauert wird, daß die Verzeichnisse zu selten herauskämen und zu wenig reichhaltig seien, daß abgesehen von den Gebetbüchern der Lehrer die gekauften Bücher durchlesen müsse, und es wurde diese Prüfung durch den Lehrer als zu schwierig und verantwortungsvoll abgelehnt. So eröffnete der „Pädagogische Sprechsaal" seinen VI. Jahrgang mit einem kurzen Artikel „Unsere Preisbüche r". Darin hieß es u, a.: „Die Erzählungsschriften von Christoph von Schmid, Herchenbach u. a., an denen wohl niemand etwas auszusetzen haben wird, sind den meisten Kindern schon bekannt, und noch dieses Jahr habe icli mehrere Kinder gesehen, welche dergleichen Bändchen umzutauschen wünschten, weil sie selbe schon hatten." Der ungenannte Verfasser bedauert, daß die Verzeichnisse der Unterrichtskommission nicht mit der Zeit Schritt hielten und deshalb manche Bücher zur Verteilung kämen, die wie er an drei Beispielen zeigt, den Glauben und die Unschuld der Kinder in Gefahr bringen können. Er fordert deshalb 1. daß die Zahl der genehmigten Bücher vermehrt werde, 2. daß die Verzeichnisse nur genehmigte Bücher zur Anzeige bringen, 3. daß alle in genügender Anzahl vorhanden seien und in letztem Falle, daß nur genehmigte Bücher zur Verteilung kommen dürfen. Die erste Nummer des VII. Jahrgangs des „Pädagogischen Sprechsaals" bringt einen Vortrag von der Hauptkonferenz des 3. Bezirks zu Luxemburg am 27. August 1889, in dem August Ourth, Oberprimärlehrer in Remich, sich mit der Frage der „Preiseverteilung in der Primarschule" auseinandersetzte. Er ging die gesetzlichen Bestimmungen über die Preiseverteilungen durch und hob hervor, es wäre im „Schulbote" von 1878, 3. Heft, ein umfangreiches Verzeichnis der von der Unterrichtskommission genehmigten Preisbücher erschienen, das man seit der Promulgation des Schulgesetzes von 1881 um 43 verschiedene Bücher erweitert hätte. Ourth forderte die Gemeinden auf, den zu bewilligenden Kredit für den Ankauf von Prämienbüchern durchschnittlich auf 75 Centimes pro Schulkind zu bringen. Er bekannte sich als entschiedenen Anhänger der Preiseverteilung und schloß mit den Worten: „Wir, die Lehrer des 3. Bezirkes, werden nie zu dem Schädigungsakte der Schule (durch die Abschaffung der Preiseverteilung) die Hand bieten." Wie der Schluß dieses Artikels erkennen läßt, wurde um diese Zeit bereits die Preiseverteilung in den Schulen mit allerlei Gründen und Scheingründen bekämpft.hauptsächlich, weil sie ein Anlaß zu Konflikten des Lehrers mit Eltern und Kindern werden konnte. Welcher Art die Bücher waren, die bei Preiseverteilungen in die Hand der Schüler gelangten, wäre recht interessant zu wissen. An die im „Schulbote" veröffentlichten Listen haben die Buchhändler und somit auch die Lehrer sich nicht gebunden gefühlt. Die Neigungen und Interessen des Lehrers haben jedenfalls bei der Auswahl eine Rolle gespielt. Lehrreich ist in dieser Hinsicht eine Stelle, die dem Lebensbild entnommen ist, das Prof. E. J. Klein in der Zeitschrift „Ons Hémecht" von dem Wiltzer Schulmann Charles Bernard entwarf (1917): „Die hohe Auffassung, welche Bernard von dem Wert der Schule hatte, geht auch
hervor
aus der Wahl der Prämienbücher, welche er seinen Schülern austeilte. Wenn man beispielsweise ein solches Buch, das noch in einer Wiltzer Privatbibliothek: steht, vergleicht mit den Druckwerken, die heute zur Verteilung kommen, wird man erkennen, welche literarischen Werke damals in die Hände der Jugend gelangten und wie erhaben der Lehrerstand war, der solche auszuwählen wußte. Jenes Büchlein trägt den Titel: „Beautés de Buffon sous le rapport du style. 1832." Ein am Titel angeklebter Zettel erklärt: „Ville de Wiltz. Ecole dirigée par le sieur Bernard. Distribution des Prix. Division supérieure. Grammaire française et allemande, style, arithmétique et écriture. 3e prix décerné à Velus Math." Es folgen die Unterschriften Bernard und Michel Thilges und der Stempel der Stadt. Zwei andere Inschriften aus Preisbüchlein von früher mögen beweisen, wie feierlich und förmlich es bei der Preiseverteilung herging. In das Büchlein „Graf Ulrich oder die Beichte. Erzählung. Nach dem Französischen des Exauvillez." Aachen, Verlag der Cremerschen Buchhandlung (P. Cazin) 1845, schrieb 1847 der Lehrer Th. Mergen es war die letzte Preiseverteilung, die er in Erpeldingen (Remich) abhielt folgendes: „Feiten Anna von Erpeldingen hat dieses Buch als ein Ehren-Preis bekommen in der Oeffentlichen Prüfung in der Schule zu Erpeldingen, den 29. September 1847." In einem andern Preisbuch, das ebenfalls eine Uebersetzung aus dem Französischen ist, findet sich ein mit folgender Inschrift versehener Zettel eingeklebt: Mittlere Knabenschule von Remich 1859—60. 1. Abteilung. Den vierten Preis verdient Meyer Ferdinand, Remich, den 2. September 1860. Der Bürgermeister Gretsch, der Dechant Hoffmann, der Schulinspektor J. Weber, der Lehrer Fr. Berrens. Ein Stück Schul- und Kulturgeschichte wird lebendig, wenn man diese Eintragungen liest. Nur zweimal wurde eine umfangreiche Liste von deutschen und französischen Prämienbüchern veröffentlicht. 1845 und 1868. Außer den sämtlichen Werken von Christoph von Schmid, Aegidius Jais, den Fables und dem Télémaque von Fénélon ist kaum ein heute noch bekanntes Buch darunter. So ist es begreiflich, daß viele Prämienbüchlein zur Verteilung kamen, welche die behördliche Genehmigung nicht besaßen. Und wenn es in einem Artikel des „Schulfreund" von 1883 hieß: „Dem braven, fleißigen Kinde geziemt ein gutes Prämienbuch und keines, das von Mängeln jeglicher Art, ja von Sprachfehlern wimmelt", so trifft an diesem Zustande die Lehrerschaft die geringste Schuld. Wir greifen aus den im 19. Jahrhundert genehmigten Büchern nur die wichtigsten der in Luxemburg veröffentlichten heraus, die religiösen, historischen, wissenschaftlichen oder Schulbuchcharakter tragen. Nur wenige sind als Kinderbücher anzusprechen und wurden an anderer Stelle gewürdigt. Es wurden u. a. genehmigt: Amherd AI.: Der fromme Pilger zur Mutter Jesu, der Trösterin der Betrübten, Saarlouis, Hansen; Maria, die Trösterin der Betrübten oder die Geschichte der Verehrung Mariens als Schutzpatronin der Stadt und des Landes Luxemburg, Luxemburg, P. Brück 1855. E n g 1 i n g, J.: Geschichte des sog. Klöppelkrieges. Luxemburg, Brück, 1858. Freiymann, Peter: Leben und Wirken des deportierten Priesters M. Wagner von Niederdonven. Himmels-Harfe : Katholisches Kirchenliederbuch, auch zum häuslichen Gebrauch. Luxemburg, Kuborn, 1846. Housse, Ludwig: Die Katakomben oder das unterirdische Rom. Luxemburg, Brück 1867. Klein J.: Leben des heiligen Schetzelo, Luxemburg, Brück 1860. Kneip, N.: Die hl. Eucharistie oder das Leben Jesu Christi im allerheiligsten Sakrament des Altars, Luxemburg. P. Brück, 1864; Die hl Kommunion oder das Leben Jesu Christi in der Seele des Menschen. Luxemburg, P. Brück, 1865; Erklärung des hl. Meßopfers für das christliche Volk. Regensburg, Pustet 1876. K o 1 b a c h, J. B. Esch an der Alzette und Schloß Berwart, Luxemburg, Brück, 1871. K r i e r, B. Die Springprozession zu Echternach, Luxemburg, Brück, 1849. Mayß J. P.: Grundsätze der Landwirtschaft. Luxemburg, Schmit, 1826. Müllendorff Julius: Der heilige Franz von Sales als Kind, ein Muster für Kinder. Freiburg i. B. Herder, 1864; Unschuld und Buße. Anrede an Kinder zum Feste des hl. Aloysius. Luxemburg, Bück, 1864. N i 11 e s, Nik.: Maria, die mächtige Patronin zur Eiche. Lux, Heintze, 1867. Noël: Leben der heiligen Kunigunde. Paquet, Josef: Die Geschichte des Luxemburger Landes. Luxemburg, Kuborn, 1842. Weber, Hubert: Leben der Schwester Monika, geb. Margaretha von Busbach, Gründerin der Kongregation U. L. Frau. Luxemburg, Heintze, 1857; Leben der gottseligen Schwester Margaretha des 3. Ordens des hl. Franziskus, Klausnerin am Heiliggeist-Kloster. Luxemburg, 1855. Wies, N.: Biblische Geschichte. Luxemburg, Brück, 1878. Bernhard Schintgen (geboren am 5. August 1812 zu Greiveldingen, gestorben am 14. September 1901 in Luxemburg) war während langen Jahren Lehrer in der Hauptstadt. Er war ein äußerst betriebsamer Schulbuchverfasser, der das Gute dort nahm, wo er es vorfand. Und das war meist in ausländischen
Schulbüchern.
So konnte es nicht ausbleiben, daß einer der rücksichtslos ausgeplünderten Verfasser, der bekannte Lesebuchautor Hästers, ihn öffentlich des Plagiates beschuldigte. Auch als Jugendschriftsteller ist Schintgen aufgetreten, indem er im Jahre 1882 gleich fünf Prämienbüchlein auf einmal herausbrachte. Sie erschienen im Verlag Jos. Beffort und wandten sich an die verschiedenen Altersklassen der Schuljugend.
Für
die Unterstufe waren bestimmt: „Moralische und biblische Erzählungen nach dem Anschauungsunterricht nebst einem Anhang kindlicher Rätsel. Prämienbüchlein für die Unterstufe unserer Primärschulen herausgegeben." (Durchgesehen von einem Priester.)
Für
die Mittel- und Oberklassen waren zwei Bändchen bestimmt. „U n s e r e Gesundheit. Prämienbüchlein für Mittel- und Oberklassen unserer Primärschulen, frei übersetzt aus dem Holländischen". (Durchgesehen von einem katholischen Priester.)
„W
anderungen in die freie Natur. Prämienbüchlein für Mittel- und Oberklassen unserer Primärschulen. Aus dem Holländischen übersetzt." (Durchgesehen von einem Professor.)
Den
Oberklassen waren zwei Büchlein vorbehalten: „Der biblische Schauplatz nebst kurzen Abrissen aus der Kirchengeschichte. Prämienbüchlein für Schüler und Schülerinnen der Oberstufe unserer Primärschulen", und „M oralische Rezepte für Kinder. Prämienbüchlein für die Oberstufe unserer Primärschulen. (Durchgesehen von einem Priester.)
B.
Schintgen war also als Jugendschriftsteller, was er als Schulbuchverfasser war: ein geschickter Kompilator und Uebersetzer. Eigenes zu schaffen war ihm versagt.
Ausgesprochen
ethische Ziele verfolgte das Büchlein „Sei mäßig, sparsam, vorsichtig! Ein Büchlein für jung und alt, herausgegeben vom Lehrer- Mäßigkeitsverein des ersten Inspektionsbezirks. Von der Unterrichtskommission als Prämienbuch genehmigt. 1. Auflage 1901. 2. Auflage 1902. (Luxemburg, J. P. Nimax.) Es enthält Erzählungen, Beschreibungen, Rechenprobleme und Sentenzen, die hauptsächlich den Alkoholismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und' seine Schädlichkeit zum Gegenstand haben.
Im
Jahre 1906 wurden die Preiseverteilungen an unsern Mittelschulen abgeschafft. Daraufhin schrieb Dr. Nik. W e i r i c h, Direktor des Pensionates in Echternach und später Religionslehrer an der Normalschule die Broschüre „Z u r Frage der Preis-Verteilung. Eine pädagogische Studie" (Luxemburg, Druck der St. Paulus-Gesellschaft, 1906), in der er recht warm für die Wiedereinführung der Preiseverteilung eintrat. Er streift in seiner Broschüre auch die Frage der Preiseverteilung in der Primärschule, indem er schreibt:
„Es
bliebe noch ein Wort zu sagen über die Preiseverteilung in den Primärschulen. Ist es nicht auffällig, wie auf einmal aus allen Ecken des Landes die Nachricht kommt: Diese Gemeinde hat soeben die Preiseverteilung abgeschafft. Auch ein Beleg dafür, wie schnell die Kleinen das Beispiel der Großen nachahmen, und wie in einem gesellschaftlichen Organismus die Handlungsweise des Kopfes jene der Glieder beeinflußt?" Weiter heißt es: „Wetteifer ist die Seele jeder Schule, er muß also in jeder, auch der kleinsten, gepflegt werden. Ist die Preiseverteilung, wie sie bis jetzt bei uns in der Primärschule stattfand, dazu das geeignete Mittel? Ich zögere nicht zu antworten: „Nein".
Weirich
sieht die Schwierigkeiten, die sich dem Lehrer entgegenstellen, eine gerechte Preiseverteilung vorzunehmen, als zu groß an, weil leicht die Dorfpolitik hineinspielt und weil das Schulkind nicht in dem Maße von einem Preis angeeifert wird wie der Mittelschüler. Nach seiner Meinung wäre sie auf das ganze Jahr auszudehnen in Form von Bonnes Notes wie sie in Frankreich und Belgien üblich sind. Weirich blieb ein einsamer Rufer in der Wüste.
Von
den Mittelschulen aus griff die Bewegung zur Abschaffung der Preiseverteilungen auf die Primärschulen über, und heute sind nur noch einige Landgemeinden „rückständig" genug, um an diesem Ueberbleibsel aus vergangener Zeit festzuhalten.
Für
die Entwicklung des Jugendschrifttums war die Abschaffung der Preiseverteilungen ein tödlicher Schlag. In dem Augenblick, wo wir Kräfte genug hätten, Jahr um Jahr eigene Jugendbücher zu schaffen, versiegt die Quelle, die dem Luxemburger Jugendbuch die materielle Grundlage hätte geben können. Das Vergnügungsauto rollt über das sterbende Buch; der Schulausflug ersetzt die bildende Feier. So will es unser demokratisches Zeitalter.
Diese
Worte waren geschrieben, als der Stadtrat von Luxemburg auf Anregung von Professor König beschloß, im Jahre 1949 allen Schulkindern von Groß- Luxemburg eine Buchgabe zu gewähren. Es ist dies die großzügigste Unterstützung, die jemals der Jugendliteratur bei uns zuteil wurde. Leider kamen die Ausführungsbestimmungen zu spät, um auf die Jugendschriftenproduktion von 1949 noch ihren wohltätigen Einfluß auszuüben. Sollte sich jedoch diese generöse Geste auch nur periodisch wiederholen, so würde sie wie befruchtender Sommerregen auf den Acker unsers Jugendschrifttums wirken und Autoren und Verleger zu höchsten Leistungen anspornen. Besser noch als ein Jugendbuchpreis würde sich die Gewißheit für die Autoren und Verleger auswirken, daß ihre Schöpfungen eine sichere Abnclunerschaft fänden.
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