Letzeburger Theater: Äddi Charel Der Weg ins Experiment Als Abschluß zur Besprechung von Pol Greischs Erstlingswerk „Äddi Cfiarel", das am vergangenen Freitag Premiere feierte, war an dieser Stelle (L.L. Nr. 45) der Wunsch geäußert worden, das „Letzeburger Theater" möge die mannigfaltigen Gelegenheiten reichlich nützen, seinen festen Willen zur längst fälligen Erneuerung, oder seine Freude am Experiment unter Beweis zu stellen. Gleich vorweg sei's gestanden : der Wunsch ging in Erfüllung. Die Hoffnungen und Erwartungen, zu denen die Lektüre des Stückes bereits Anlaß gab, wurden durch Inszenierung und Darstellung keineswegs enttäuscht. Eugen Heinen und sein Ensemble konnten nach lahren endlich wieder überzeugen. Eine nüchterne aber sichere Spielleitung, durch hervorragende Einfälle bereichert, vermochte die schwierigen Aufgaben, die dieses vielschichtige Stück an Begie und Spauspieler stellt, geschickt zu lösen. Hier wurden neue Wege beschritten, die für die Zukunft unseres Dialekttheaters bindend sein werden. Selbst auf die Gefahr hin, durch Wiederholung zu langweilen, sei abermals die Ansicht vertreten, daß es falsch wäre, unserm Mundarttheater durch nachsichtige, wohlwollende lobhuldende Kritik einen „guten" Dienst erweisen zu wollen. Auch (oder besser : gerade) unter Freunden gelte das Prinzip der Aufrichtigkeit : Gutes loben, Schlechtes tadeln. Erste Aufgabe der Inszenierung war es, das Geschehen, gemäß dem Charakter des Stücks, aus einem sterilen, naturalistischen Abklatsch der Alltagswirklichkeit herauszuheben und ihm einen Hauch von Parodie und Ironie zu verleihen. Hier war die Gefahr sehr groß, durch Übersteigerung in die Possen und Schwanke eines nichtssagenden Lustspiels abzugleiten. Durch eine sehr zurückhaltende, nüchterne. manchmal etwas mechanisch anmutende Spielleitung, die stellenweise an brechtische Verfremdungstechnik erinnerte, gelang es Ugen Heinen, jene goldene Mitte zwischen Naturalismus und Posse zu wahren. Zivar mangelte die Aufführung am Tage der Premiere noch etwas an Präzision, manchen Szenen fehlte der nötige Rhythmus. (Diese Mängel lassen sich aber sehr leicht erklären, einerseits aus der allgemeinen Aufregung die wohl bei jeder Erstaufführung herrseht, ändernteüs durch den recht schwierigen Text, der durch Wiederholungen ähnlicher Situationen große Anforderungen an das Gedächtnis des einzelnen Schauspielers stellt.) Als Beispiel dürften hier jene dramaturgisch sehr interessanten Szenen zitiert werden die durch mehrmalige, fast sich gleichbleibende jedoch in Text und Gestik gerafftere Wiederholung des Alltags mechanische Routine wiedergeben sollen. Der vor dem eigentlichen Höhepunkt ausbrechende Applaus des Publikums verriet nur zu gut, daß die rhythmische Gestaltung nicht deutlich genug dem zu erreichenden Endziel zusteuerte. Besonders aber der zweite Teil, weniger reich an dramaturgischen Einfällen, lief stdlenivei.se Gefahr, durch Monotonie, durch das Fehlen neuer und erneuernder Elemente, Langeweile hervorzurufen. Oder war es das stets wiederkehlende, vielleicht noch nicht genügend von Fall zu Fall abgewandelte Dchit-Crédit- Spiel das letzten Endes ermüdete ? Vielleicht war es auch nur einfach die Fülle an hervorragenden Regieeinfällen des ersten Teiles die dem feinfühligeren, wehmütigeren zweiten Teil monoton erscheinen ließ. Im ersten Teil wurde nämlich soviel für einheimische Begriffe Neues geboten, daß des Staunens kein Ende war. Jene geisterhaft-phantastische Illusionszene, während der zwei beängstigende Kontrollbeamte eingeschüchterten Kulis die Kontenbücher abverlangen, oder jene kinematographisch angelegten „Großaufnahmen" von Strech und Charel dürften einzigartig in der Geschichte unseres Mundarttheaters stehen. Höchste Wirkung jedoch erzielte Ugen Heinen mit seiner Grabrede. Der brutale Bruch im Vortrag steht exemplarisch für den Geist der ganzen Inszenierung. Hier wurde ein an sich banaler Text, der mir bei der Lektüre nicht besonders gefallen hatte, durch die Interpretation zum Prunkstück des ganzen Abends. In den übrigen Rollen sorgten bewährte Namen für gute Leistungen. Erny Ney bot einen resoluten, realistischen Fix ; Pol Greisch, der Autor, fand in Charel endlich jene Rolle, die es ihm ermöglichte, sein hervorragendes schauspielerisches Talent voll zur Geltung zu bringen — et pour cause ! Die beste Leistung des Abends jedoch dürfte Fernand Fox zugeschrieben werden. Mit großer Sicherheit zeichnete er einen Strech, der niemals in die Karikatur des schrulligen Pedanten abglitt, eine Gefahr, die sehr nahe lag (und der zum Beispiel ein Hary Haagen als Teppel unterlag). Durch diese neuartige Inszenierung — zu deren Gelingen Josy Greisens Dekors einen nicht geringen Beitrag geliefert haben — hat das „Letzeburger Theater", entschlossen den Weg ins Experiment angetreten. Sollte es Ugen Heinen in kommenden Jahren gelingen, verschiedenen Mitgliedern seiner Truppe aus ihren festgefahrenen Bahnen des billigen Erfolgs und der Boutine zu verhelfen, so dürfte man mit höchster Aufmerksamkeit die neuen Wege dieses vor Jahresfrist fast aufgegebenen Ensembles verfolgen. Vor allem aber müßte es in Zukunft gelingen, jenem Buhlen um die Gunst eines gewissen Publikums endgültig zu entsagen. Denn ein Publikum, das Applaus spendet wenn ein Schauspieler allzu deutlich mit einer Rolle Toilettenpapier seine Absicht kundtut, verdient es niefit. umworben zu werden. Dazu sollte selbst einem Mundartamateurensemble die Theaterkunst zu erhaben scheinen. E.K.