Pioniere des Automobils Hundert Millionen Automobile verkehren auf den Straßen der Welt. Jährlich kommen zwölf Millionen neue dazu. Die Entfernungen schrumpfen zusammen. Wir haben Raum und Zeit besiegt. Vom Dampfautomobil des Franzosen Nicolas Cugnot, das 1770 gewaltiges Aufsehen erregte, bis zum Mercedes 300 S L unserer Tage führt ein wechselvoller Weg. Der Traum des Wagens, der sich mit eigener Kraft fortbewegt, wurde Wirklichkeit. Doch wieviele Erfinder sind zerschellt in ihrem Drang, die Lösung zu finden. Unzählige Mechaniker und Ingenieure haben Vermögen und Gesundheit geopfert, doch sie wurden vergessen. Wer weiß heute noch. wer de Dion Bouton, wer Maybach, wer Amédée Bollé gewesen ist? Wer erinnert sich noch an das tragische Ende von Rudolf Diesel, der 1913 auf ungeklärte Weise im Ärmelkanal verschwand? Zwanzig Jahre nach Diesels Tod trat sein Motor den Siegeszug an. Wer kennt schon den arm verstorbenen Etienne Lenoir aus Mussy-la-Ville? Dieser Pariser Autopionier ist geborener Luxemburger. Bereits 1860 baute er seinen «moteur à air dilaté», eine Art Verbrennungsmotor, in ein Droschkengestell ein und fuhr damit in drei Stunden eine Strecke von 18 Kilometer. Leider verbrauchte der Lenoir-Motor ungeheure Gasmengen. Auch war seine Leistung sehr klein. Hätte Lenoir den Ingenieur Beau de Rochas gekannt, der zur gleichen Zeit in Paris lebte, vielleicht wäre es seinem handwerklichen Geschick gelungen, schon damals den Viertakt-Motor zu bauen. Das Viertakt-Verfahren wurde theoretisch von Beau de Rochas aus den Prinzipien der Wärmelehre abgeleitet. Sein Patent blieb ohne Folgen, da Beau de Rochas kein Praktiker war. Dasselbe Verfahren wurde 1872 von den beiden Deutschen Otto und Langen wiederentdeckt. Daher wird ein nach diesem Prinzip arbeitender Motor auch Otto-Motor genannt. Genau wie Lenoir ging es auch dem österreichischen Mechaniker Siegfried Markus. Er baute 1875 ein Auto mit Verbrennungsmotor, doch seine Erfindung geriet in Vergessenheit. Es gibt aber auch einige Pioniere, mit denen es das Schicksal nicht so arg getrieben hat. Zu ihnen gehören Ford und Panhard, Renault und Citroen, Daimler und Benz. Gottlieb Daimler und Carl Benz, deren Namen durch die 1926 gegründete Daimler-Benz AG eng verbunden sind, kannten sich im Leben nicht. Jeder ging seinen eigenen, ideenreichen Weg. Ihnen verdanken wir das Auto von heute. 1885 erwarb Daimler das Patent für seinen revolutionären Viertakt-Vergaser-Motor mit Glührohrzündung. 1886 baute er damit das erste Daimler-Auto. Mit Recht kann 1886 als das Geburtsjahr des Automobils gelten, besonders da auch Carl Benz um die gleiche Zeit seinen Zweitakt-Gasmotor in ein Dreirad «Velo» einbaute. Damals, genau vor 75 Jahren, begann die immer schneller verlaufende Entwicklung der Motorfahrzeuge die uns heute noch jeden Tag neue Lösungen beschert. Der Daimler'sche Zweizylinder V- Motor von 1889 bedeutete einen gewaltigen Fortschritt. Mehr als ein Jahrzehnt beherrschte dieser schöne «Standard»Motor den Automobilbau der Gründerjahre. Er hatte einen Hubraum von 600 Kubikzentimeter und leistete 2 PS bei 700 Umdrehungen pro Minute. Daimler trat die Lizenz dieses Motors für Frankreich im selben lahr an Ma dame Sarasin ab. deren Gatte Levassor zusammen mit Panhard die erste französische Automobilfahrik, die «Panhard & Levassor» Gründete. Eine enge Freundschaft verband Daimler mit den beiden ältesten französischen Autopionieren. Während mehr als zehn Jahren kamen die Hauptimpulse im europäischen Autobau von diesem Dreigespann. 1894 siegte ein Daimlerwagen im ersten internationalen Rennen Paris-Rouen. 1900 baute Daimler den ersten «Mercedes» der mit 35 PS bereits eine Geschwindigkeit von 72 Stundenkilometern erreichte. Den Antrieb und die finanzielle Möglichkeit, stärkere Autos zu bauen, erhielt Daimler vom österreichischen Generalkonsul in Nizza, Jellinek. Das Urbild des eigentlichen Automobils wurde nach Jellinek's schöner Tochter «Mercedes» genannt. Es wäre müßig, alle weiteren Erfolge sowohl von Daimler wie auch von Benz aufzuzählen. Erwähnt sei nur noch, daß der Weltrekord 1910 mit einem Benz-Rennwagen von 200 PS bereits 211 km pro Stunde betrug, und daß 1914 im großen Preis von Frankreich drei Mercedes-Rennwagen an der Spitze lagen. Welch ein Weg von den merkwürdigen, pferdelosen Kutschen der neunziger Jahre bis zum komfortablen und zuverlässigen Straßenkreuzer aus Untertürckheim! Damals ging's mit Rattern und Knattern, mit Rauch und Gestank, mit lärmenden Ketten und kreischenden Bremsen über die verstaubten Landstraßen. Den zähen Pionieren im ölverschmierten blauen Mechanikerkittel gilt unser Dank.