Escher Tageblatt


Aus
einer kleinen Residenz
"Der
Wind blies entfesselt vom Pazifik und schlug das Inselgestrüpp und meine journalistische Neugier in Stücke." Wer schrieb das ? Irgendein Reiseschriftsteller ä la Kasimir Edschmid ? Nein, ganz einfach eine luxemburgische Autorin, Katrin C. Martin, deren erstes Buch bis wo der Pfeffer wächst" nunmehr vorlieg t. (Copyright by Aare-Verlag, Bern.) Die Weltenbummlerin, die heute die Luxemburger illustrierte Revue leitet, wurde tatsächlich bis dahin verschlagen, wo der Pfeffer wächst. Sie schleckerte sogar die peruanische Chica, ein milchiges, übelriechendes Getränk, das den Weißen “am zivilisierten Hirn frißt wie eine dämonische Zunge." Durch enge Pfade Paraguays, die die Mulas und Ziegen getreten, kletterte ihre Ungeduld. "Die Sonne stach mörderisch, fraß die großen Gräser zu Zunder und sengte die Stauwasser der kleinen Quellen zu Staub." Bald durchritt sie die Provinz Las Misiones, um die Trümmer des Jesuitenreiches zu schauen oder um dem UrwaldEinsiedler Horacio Quiroga einen Besuch abzustatten "Horacio Quiroga liebte das Dschungel wie vielleicht kein Mensch es je geliebt hat. Die trunkenen-Farben, die perversen Launen, die grausame Fruchtbarkeit der Pflanzen und das Wimmeln, Kriechen, Lauern der Insekten hatte er erforscht und sein Gedächtnis damit vollgestopft. Und in schlaflosen Nächten rächte sich die Flora, die Fauna. Bilder, Düfte, Geräusche peinigten seine Ruhe. Wurzeln, Samen, Larven fielen über ihn her." Dasselbe trifft auch auf Katrin C. Martin zu. Auch sie laann den· Urwald von Gualeguaychu nicht vergessen, wo die Indianer ihre Toten hoch in den Bäumen aufbahren: "Wir ritten. Stundenlang. Auf einmal kam ein Rollen daher
wie
ferner Donner. Der immer stärker wurde. Immer stärker. Bis er Orkan geworden. Es waren Papageien. Es war eine fürchterlich losgelassene Meute von Papageien, die das irrsinnigste Geräusch vollführten, das ich je gehört und das sich in meine Nerven hineinsägte. Die infernalischen Schwärme wirbelten um unsere Köpfe. Wir mußten absteigen Da sahen wir kleine krummse Holzkreuze, die unheimlich aus dem verbrannten Gepflanze hervorleuchteten. Und noch immer schossen die Papageien durch die Luft, verrückt flügelnd und giftig zischend. Hunderte saßen in den Cei bales, die das Ungeheuerliche trugen die Särge. Särge hingen in den Ceibales, große und kleine Särge. Ein Gottesacker zwischen Himmel und Erde. Schauderhaft hackten die Papageien ins Sargholz. Das Kreuz" des Abendlandes hat sich abgemüht, der Indianer Götter in den Urwald zu verbannen, die alten Sitten aber haben sich nicht ausrotten lassen. Die Indianer von Qualeguaychu sind überzeugt, daß die Seelen ihrer Lieben schneller und sicherer ins Elysium gelangen, wenn sie über der Erde hängen. Und daß die Götter den Papageien die Mission der Todeshymnen anvertraut haben, ist diesen Menschen selbstverständlich wie ihr alter Glaube." Katrin C. Martin sah nicht bloß das Südkreuz sondern auch die Heuschrekkenschwärme am argentinischen Himmel: "Ein scheußliches Erleben. Plötzlich war der brennende Himmel nachtdunkel geworden. Vor der Sonne lagerten riesige Tintenflecke: die Heuschrecken. Die Tintenflecke schwebten näher, wurden größer, durchsichtiger. Es knisterte und knatterte und zischte von gierigen Kiefern und von abenteuerlichen Flügeln. Palmen und Pareisos standen hilflos mit überlasteten knackenden Gliedern Es krachte im Mat£gseträuch und in den Schatten der Kakteen. Während der
Nacht
hörte man, wie die Bäume ächzten, wie die Aeste abbrachen unter dem pressenden Gewicht. Die Welt schien bedeckt von dickem, braun-grünem wellendem Filz." Ein anderes Mal befand sich die Autorin in Santa Fe, als die insektlichen Hunnen heranschwärmten. Ein Estanciero wollte ihr zeigen, wie man die Langostas vertreibt: "Er lief den Ford ankurbeln und raste damit durch die infernalischen Armeen, die in Schmausensfreuden durcheinander quirlten. Die Heuschrecken schoßen gegen die Scheiben des Wagens und gegen den Kühler und zerquetschten zu warmen Brei. Die Räder verschwanden in schmierig gelben stinkigen Klumpen. Der Ford blieb darin stecken." Aus dem Urwald und aus der Pampa führten die Wege zurück nach Rio de Janeiro, Buenos Aires, New York und Pearl Harbor. Beim Anblick Rio de Janeiros findet die Autorin es sonderbar, daß der Schöpfer diesen Flecken Erde nicht als Eden auserkor: “Rio würde sich als Wiege der Erbsünde besser geeignet haben als die Sandwüste am Euphrat." Daß in Buenos Aires die Frauen auf der Straße angesprochen werden, ist ein Ding des Alltags. "Que rica que preciosa que linda Komplimente machen ist dem Porteno ein Bedürfnis wie Mate und Tango. "Mate und Tango sind mit ihm verwachsene Begriffe. Er liebt auch Politik, französische Literatur, Whisky, Pferde und sich selbst. Und er hat Humor, Humor mit geheimer Härte, ,die gar nicht zu seinem zerkauten Spanisch paßt." In New-York bedauert die Autorin jene Menschen, deren Wohnungen im Bering der Hochbahn liegen: "In der Luft rast wie eine Roboterschlange die Hochbahn und kracht und knackt und pfeift. Man denkt unwillkürlich an die Nerven der Menschen, die in den Stockwerken wohnen, davor die Bahn hinflitzt, 'unbarmherzig, ohne Unterlaß. Können denn diese Menschen noch denken, lesen, beten ?" Und. in Harlem sah sie "Macbeth", von
Negern
gespielt: "King Macbeth ist ein | dicklippiger Kerl aus sprühender Bronze i gegossen und heldisch jung. Sepiafarben gurrt Lady Macbeth über die Bretter. Nie noch hatte ein King Duncan solch glitzernde Zahnstriche in dunkler Kinn- lade. Nie noch spielten in Shakespeare solch begeisterte Feldherrn. Und erst die < Hexen Es dünkt einen so busch- c haft, daß man glaubt, gleich müsse ein Tamtam losgehen. Die Neger nehmen ihren Shakespeare ernst." Katrin C. Martin war auch vielleicht j die erste Journalistin, der-nach frucht- losen Interviews-Versuchen Sir Basil ,j Zaharoff einen Strauß Riviera-Veilchen schenkte. Der Zufall schenkte ihr auch Stunden mit Pierre Loti, Anatole France, d'Annunzio und Emil Ludwig, selber ein König des Interviews. Und die Autorin hat sich die illustren Menschen genau angeschaut. Der gealterte Loti im Rollstuhl: “Trau- rige Augen von der Farbe toter Blätter schauten mich an wie aus trüber Ferne. Mein Freund sagte, ich sei Luxembur- gerin und Studentin. Der Meister sagte, Luxemburg habe kein Meer Anatole France "Da stand er in der i Türe. Er schob sein dunkles Mützchen auf dem Kopf zurecht, daß ich an einen frommen Rabbi denken mußte." .Gabriele d'Annunzio: "Das flaschengrüne Hauskleid hüllt ihn ein wie eine Mönchskutte und, einer Flamme gleich, leuchtet an seinem Hals der mohnfarbene Schal. Monokel. Dicke Nase. Schlechte Zähne. Keine Haare. Keine Brauen. Viele Runzeln. Augen von der Farbe antiker Bronze. Ein Cäsar, der vergessen hat, seine Glatze mit Lorbeer zu bekränzen Weiter entführt uns die Autorin nach Monte Carlo zu Spielern, für die “alle Kompasse zerbrochen" sind oder die, wiederum vom Glück begünstigt, die, Hunderter loslassen "wie kleine Stöber- hunde". Wir blicken auf gefälschte Spielkarten mit chemischen Zeichen drauf, die nur bei künstlichem Licht und schwarzer Brille sichtbar werden. Die Feuilletonistin entziffert uns auch die Geheimtelegraphie des Hötel Drouot,
wo
die stummen Figuranten der tausend Schicksale darauf warten, vom Zufall zerstreut zu werden. Daß Katrin C. Martin ihr journalistisches Handwerk kennt, geht aus zahlreichen Vergleichen hervor. Ventimiglio "Was kann man schon in dieser grauen Stadt beginnen, in der die Melancholie permanente Mietfrau ist?" Gibraltarfelsen: "Freudiose Kakteen dösen auf der roten Erde. Agaven recken ihre Büschel bleichgrüner Säbel. Palmen sind atemlos vor Müdigkeit. Magere Ziegen rupfen gierig herum. Sie scheinen den Schatten abzurupfen." Vergleiche auch über die Frauen der alten und neuen Welt. Für die Leserinnen des "tageblatt" habe ich einigees über die Luxemburgerin herausgepickt: "Eine Eigenschaft ist allen Luxemburgerinnen angeboren Gleichgewicht. Es gibt keine extravagante Luxemburgerin. Nicht daß es diese oder jene innerlich nicht manchmal danach reißen würde, ein bißchen ungereimt zu sein. Aber Wät ge'wen d'Leit son! Wät ge'wen d'Leit son Das steht im Wappen der Luxemburgerin, grau auf rotweißem Feld. Musterhafte Regelung der Alltagsarbeit. Traditionsgebundene Regelung der Alltagsarbeit. Montags Wäsche. Mittwochs Bügelbrett. Donnerstags Flickerei. Samstags Hausputz. Niemals würde es einer Luxemburgerin einfallen, eventuell am Montag an den Hausputz her'anzugehen oder am Samstag an die Wäsche. Das alles ist allerdings im fraulichen Tugendkästchen ein großes goldenes Juwel. Und die Luxemburger. Männer sind ganz und gar auf tüchtige Hausfrauen aus. Was wäre dem Luxemburger Mann eine Gattin, die sich mit den Existentialisten abgäbe, oder surrealistische Malerei deuten würde, oder die Musik eines Respighi ? Solch eine Luxemburgerin ist überhaupt nicht denkbar." Titine, der ich kuriositätshalber das Kapitel über die Luxemburgerin zu lesen gab, meinte, Katrin C. Martin habe im großen Ganzen recht. Die Luxemburgerin sei nun einmal eine Primadonna am Herd und an der Wiege. Rob. THILL.
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