Luxemburger Wort


Dichter
der Heimat
Jacques
Kintzelé
6.

Er
hat uns bis jetzt nur em einziges Werk geschenkt, einen stillen, verhaltenen Roman, den er den Roman von der Luxemburger Erde nennt, den man in seinem Wesen vielleicht besser in den Untertitel: Roman eines Hofes und einer Liebe fassen könnte. Denn das ist der Inhalt der innigen, duftigen und eidhaften Geschichte: „Auf der Wasser» scheide", die den Untergang einer Familie, die Sturmzeit eines verschuldeten Hofes, den Ausbauwillen des letzten Sprosses und dessen Liebe zu einem armen Mädchen in echter, etwas scheu sich äußernder Dichterkraft gestaltet.
Der
Hof „Auf der' Wasserscheide" ist der stille Held der Geschichte. Auf ihm leben zwei Brüder, die letzten Ausläufer der Familie Vraun, in deren Händen der Hof feit Jahr- Hunderten liegt. In den beiden Brüdern Richard und Peter spiegelt fid) das Zwiefache der Braun'fchen Familie. Em Vorfahre hatte eine adelige Emigrantin geheiratet und so das fremde Blut in die Familie gebracht, das
eine
fühlbare Zweiteilung in der Nachkam« menfchaft hervorgerufen: die einen zog es zur Stadt und zu geistigen Betätigungen, die andern blieben seßhafte Bauern. Richard ist Bauer geblieben, Peter studiert. Auf dem Hofe lastet eine schwere Schuldenlast, der herrliche Wald, der dem Hofe Wert und Relief gibt, ist einem Emporkömmling verpfändet. Em Ausgleich ist allerdings moglieh: wenn Richard des Emporkömmlings Tochter heiratet, ist alles gut. Richard stirbt dann plötzlich an Herzsd)lag, und die ganze große Bürde fällt auf die jungen Lchullern des erschütterten Studenten. Dein gibt die Liebe zur Erde Kraft und em unzeibrechlicher Glaube an die bessere Zukunft Mut, er beginnt das fchwere Werk: den Hof zu retten, trotz Not und Säiutd, Der Emporkömmling bietet nun auch dem neuen Herrn „Auf der Wasserscheide" die Hand seiner Tochter an. Der aber hat sein Herz der armen Schäferstochter geschenkt, und sd)lägt um dieser Liebe willen den Ausgleich aus. Der Enttäuschte will daraufhin mit aller Grausamkeit vorgehen, den jungen Mann, der seine Tochter verschmäht hat, vom Hofe vertreiben. Aber da ereilt ihn em schweres Schicksal. Das Geld, das seinem Hause Reichtum gebracht, ist vom Großvater einem toten Emigillnten, dem Vater jener Frau, die auf dem Hofe als Herrin zurückblieb, geraubt worden. Die Freueltat wurde in der Frentz'fchen Familie vom Vater auf den Sohn übertragen und verlangte immer wieder ihre Opfer. Dem Neureichen stirbt in eben dem Augenblicke, als er den jungen Herrn des Nachbarhoses zugrunde richten will, an derselben Stelle, wo viele Jahrzehnte zurück der Raub stattgefunden, auf grauenhafte Art der Lohn. Erschüttert und innerlich getroffen gibt er die Freveltai bekannt und erläßt dem jungen Herrn „Auf der Wasserscheide" die Schuld. Peter Braun führt nun seine Braut heim und beginnt den erfolgversprechenden Wiederaufbau des Hofes und der Familie.
Um
das Gerippe dieser Handlung wirkt der Dichter. denn hier schafft em wirk«eher Dichter, der fcharf zu sehen und treffend wiederzugeben weiß, eine fast verwirrende Fülle von Bildern und Gestalten. Li hat eine überraschende Freude am vertieften Betrachten und breiten Ausmalen, er nerfenkt sich mit vollausschöpfendei Liebe in das kleinste Ding und in das Unscheinbarste der Natur. Wo die deutenden Worte nicht mehr steigen wollen, greift er zu vergleichenden Bildern. Welche Stärke in den Bergleichen und welche Kraft in den schmückenden Bei» Wörtern! Dieser Dichter gestaltet nach Rokokoart: jede gerade Linie ziert er mit feinsten Motiven und einer unversiegbaren Lust an der reinen Schönheit des gefchaffe«
rien
Werkes. Mit allen Mitteln zieht er die Natur und das stumme Leben der Dinge in Wald und Feld in das große Erleben der Menschen hinein. Aus diesem Zusammenklang wächst die Liebe zur Erde, aus der Liebe zur Scholle die Tragik des Geschehens, das an fich nicht groß, spannend und erschütternd ist, eher abgegriffen, uraltes Motiv, etwas aufdringlich sogar den Kontrast von Nurgut und Nurschlecht, in dem das Schicksal mehr gesehen, als notwendig gestaltet ist, sadaß die plötzlich einbrechende Tragik nicht mit Allgewalt in die Tiefen der Seele packt. Und auch im Dialoge liegt eine seltsame Schwere, eine merkwürdige Trägheit im Fluß, eine Fremdheit, die vielleicht daher rührt, daß das spezifisch luxemburgisch Gedachte waitgerecht ins Deutsche übertragen wurde, die aber manchmal verblüffend den heimatlichen Typen im Ausdrucks gerecht wird.
Nein,
dramatischer Gestalter ist Kintzelé nicht, aber Erzähler ist er. Erzähler, der um der Klänge willen, die er liebt, um der Erinnerungen willen, die auf ihn einstürmen, um der Dinge und Gestalten willen, die er wieder greifbar, wenn auch nur im Worte greifbar, vor sich sehen möchte, in immerwechselnden Stellungen, aus allen Stimmungen des Lebens heraus, das eine, einzige schildern will: die Heimat, die Umwelt, den Hof. In der plastischen Gestaltung von Menschen, Tieren und Pflanzen ist er groß und stark. Wenn man sein Werk durchblättert und die rein beschreibenden Partieen ausscheiden möchte, wird man leicht erschrecken: denn der weitcms größte Teil müßte dem streichenden Stifte zum Opfer fallen. So ist das Buch kein Ausbruch von Leidenfchaften, sondern einfache, klare Erzählungs» linie mit kurzen Hemmungen und leichten Konflikten, die fich unoerhofft wieder auflösen. Aber es haftet nach dem Auslesen in uns em Vild, leuchtend und unauswischbar: der umkämpfte Hof „Auf der Wasserscheide", und mir haben die Heimat. Heimatmenschen und Heimatbiäuche in unoergeßlichen Schtlderungen erlebt. Jacques Kintzelé. der Stille und Zarte, der vollendete Meister der Klein- Malerei, den eine große Lchollenliebe zum Dichter der Erde gemacht hat, die auch unsere Erde ist! —te—

Sub-articles

7 / 12
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12